Stop or (trotzdem) Go

Seit knapp 10 Jahren ist "Stop or Go" das Herzstück der Lawinenausbildung im Alpenverein.

Das gesamte Stop or Go - Schema im Detail
Das gesamte Stop or Go - Schema im Detail

Stop or Go – Die Entscheidungsstrategie

Die Grundphilosophie: Ja-nein (Stop or Go)- Entscheidungen treffen, die in den allermeisten Fällen (99,999%) richtig sind und für die wir möglichst wenige Grundlagen benötigen! Stop or Go bietet dafür ein Zweifiltersystem an, wobei der erste der mächtigste und wichtigste ist. Check 1 entspricht exakt der „elementaren Reduktionsmethode" und verknüpft die Gefahrenstufe des Lawinenberichtes mit den wichtigsten Geländearameter: der Hangneigung. Die gesamte „Neue Lawinekunde" auf den Punkt gebracht: Je größer die allgemeine Lawinwngefahr - die Grenzgefahrenstufe ist dafür der komprimierteste Ausdruck-, desto stärker der Verzicht auf steile (30° und mehr), sehr steile (35° und mehr) und extrem steile (40° und mehr) Hänge. Im konkreten Fall würde das bedeuten, dann eine Gruppe, die nach Stop or Go entscheidet, bei Gefahrenstufe 3 („erhebliche Lawinengefahr") auf Hänge verzichtet, die 35° oder steiler sind.
Wichtig: Zu berücksichtigen ist bei Stufe 3 die steilste Stelle (über ca. 20 Höhenmeter) im gesamten hang - nicht nur im Umkreis der Spur wie bei Stufe 2.
Der zweite Filter (Check 2) erhebt den Anspruch, die klassische Lawinenkunde auf fünf Fragen zu komprimieren. Er soll go-Entscheidungen aus Check 1 einer zweiten Prüfung unterziehen und diese gegebenenfalls in „Stop-Entscheidungen umwandeln.Das passiert - wir wissen das heute - sehr selten. Am wichtigsten ist diese Funktion bei Gefahrenstufe 2, da Check 1 hier einen sehr großen Spielraum eröffnet: „Verzicht auf 40° (im Bereich der Spur) und mehr." Eine mit Triebschnee gefüllte, knapp 40° steile Rinne zu erkennen und auf die Einfahrt trotz „Go" aus Check 1 - zu verzichten - diese Hoffnung ist am Check 2 geknüpft. Darüber hinaus sehen wir heute die Stärke dieser 5 Fragen (Neuschnee? Frischer Triebschnee? ...) noch in einem anderen Licht: sie helfen, unsere Wahrnehmung im Gelände zu steuern und die Gefahrenstufen des amtlichen Lawinenlageberichtes zu verifizieren.

Trotzdem Go

Der erste Filter - „Check 1" - in Stop or Go ist - gerade bei Stufe 3 - sehr streng und verleitet uns als Ausbilder und Führer immer wieder dazu, die eigenen Regeln zu brechen bzw. unsere kritischen Kursteilnehmern gegenüber nach „Rechtfertigungen" zu suchen, warum hier und jetzt der Check 1 überschritten werden darf. Vor etwa 3 Jahren erkannten wir, dass es 1. tatsächlich gut begründete, auf Fakten beruhende Argumente gibt, die es erlauben, die Grundregel von Check 1 zu brechen, und - 2. - dass diese Ausnahmen sehr wenige sind und recht genau benannt werden können. So entstand „Trotzdem Go": Fünf Fakten, die uns dazu „berechtigen", die Grenzen von Check 1 zu überschreiten:

 

1. Eindeutige begünstigte Exposition oder Höhenlage
Die hohe Qualität der Lawinenlageberichte im Alpenraum eröffnet uns heute einen größeren Spielraum: einmal durch die Regionalisierung, zum Zweiten durch die Differenzierung der Lawinengefahr in Abhängigkeit von der Höhenlage (z.B.: „Stufe 3 ab 2.200 m, darunter 2"). Zudem wird seit Jahren (und nun mit einheitlichen Piktogrammen) angegeben, in welchen Expositionen die Gefahrenstellen vorwiegend zu finden sind. Das bedeutet für uns: Wären diese in den Piktogrammen dargestellten Hangrichtungen nicht vorhanden, wäre die Gefahrenstufe um einen Grad niedriger. Für unsere Praxis: Wir erlauben uns, dann eine Gefahrenstufe niedriger anzunehmen, wenn wir eindeutig in einer begünstigten Exposition unterwegs sind, wenn also die für die Allgemeine Gefahrenstufe verantwortlichen Fakten in dieser Exposition nicht gegeben sind. Im Zweifelsfall bleiben wir bei der höheren Gefahrenstufe.

 

2. Stark verspurter Hang
Dieser Trotzdem-Go-Faktor beruht auf der gesicherten Erkenntnis, dass die Wahrscheinlichkeit, in einem stark verspurten Hang ein Schneebrett auszulösen, sehr gering (nicht null!!) ist. Vorausgesetzt, ich bleibe innerhalb des verspurten Bereichs! Wann ist ein Hangbereich stark verspurt?
Dann, wenn mehrere Spuren ineinander verlaufen, so, dass es mir nicht mehr leicht möglich ist, die einzelnen Spuren zu differenzieren, und es mir innerhalb des befahrenen Korridors nicht mehr möglich ist, eine Spur zu ziehen, ohne andere zu kreuzen. Beachten Sie aber auch bei Anwendung dieses Trotzdem-Go-Faktors die „Stop-or-Go" „Standardmaßnahmen": Abfahrten nur in großen Abständen (30 m), ab 35° Einzelfahren.
Wichtig: Dieser „Trotzdem-Go"- Faktor gilt nur bei trockener Schneedecke, nicht bei starker Durchfeuchtung!

 

3. Tragfähiger Schmelzharschdeckel
Nichts erlaubt uns eindeutiger, auf hohe Stabilitätsverhältnisse zu schließen und eine Schneebrettauslösung nach menschlichem Ermessen auszuschließen, als ein Schmelzharschdeckel.
Wann immer eine solche Situation gegeben ist, können wir uns gemäß Stufe 1 verhalten. Steilhänge sind dann mehr nach Absturzgefahr als nach Lawinengefahr zu beurteilen. Aber Achtung: Die Sicherheit ist in dem Moment verloren, in dem der Schmelzharschdeckel aufgeschmolzen ist!

 

4. Dichter Wald
Hier genügt der Hausverstand:
Natürlich ist dichter Wald ein Lawinenschutz - auch für uns Tourengeher - und die Anwendung von Reduktionsmethoden macht hier natürlich keinen Sinn. Zu beachten - und in der Ausbildung zu vermitteln - ist allerdings der Umstand, dass große Waldlichtungen wie freies Gelände zu betrachten sind - auch wenn die Bäume rundherum ein sicheres Gefühl vermitteln. Dasselbe gilt für den Waldrand-Grenzbereich, also den Übergang ins freie Gelände! Das Sicherheitsgefühl, das lichte Lärchenbestände und einzelne Bäume vermitteln, ist rein psychologisch und hat keinen realen Hintergrund! Dichter Wald bedeute ca. 5 Meter ein Baum, ist zum Schifahren maximal lustig, ganz sicher aber kein Genuss. Beachten Sie hier die Verletzungsgefahr - für sich selbst und Bruder Baum!"

 

5. Lawinensichere Geländeform
Der Wind ist nicht nur Baumeister der Lawinen, er ist auch dafür verantwortlich, dass wir häufig auf Rücken unterwegs sind, auf denen wenige Zentimeter festgepresster Schnee vorhanden sind.
Dazwischen schauen vereinzelt Grasbüschel oder Almrosen raus.
Auf einer solchen Schneedecke unterwegs zu sein, bedeutet eine ähnliche sichere Situation wie bei einem tragfähigen Schmelzharschdeckel. Von den Limits des Checks 1 sind wir hier entbunden. Noch eindeutiger ist die Situation, wenn ich auf Graten unterwegs bin (mit den Skiern am Rücken oder im Skidepot) oder wenn ein Rücken komplett von Schnee befreit ist. Achtung: Das Kriterium „Rücken" allein ist entschieden zu wenig, um diesen Faktor ins Treffen zu führen! Es bedarf immer auch des Merkmals „keine schneebrettfähige Schneedecke vorhanden".

 

Abschließend
Tendzin Gyatsho, besser bekannt als der 14. Dalai Lama, formulierte einst einen Satz, der für unsere Sicherheitsarbeit im Alpenverein leitgebend ist: „Lerne die Regeln gut, damit du sie richtig brechen kannst!" Unser (empfohlenes!) Regelwerk für Skitouren mit Happy End:
Stop or Go: Check 1, Check 2, Standardmaßnahmen. Unsere Empfehlung für Regeln richtig brechen: „Trotzdem Go",.

Die "Stop or Go Strategie" als pdf-Datei und auch die für jeden Rucksack nützliche "Stop or Go-Karte" stehen hier! zum Download bereit.

Lawinen-Checkliste

Die Lawinen Risiko-Checkliste bietet einen guten Überblick über das Thema Lawinen - Entstehung, Gefahrensituationen, Risikomanagement und vieles mehr...

DAV-Checkliste-Lawinen.pdf
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